Wehmütig betrachte ich mein Gesicht,
dessen Antlitz sich in der Schaufensterscheibe vor mir bricht.
Selbst dem Dämmerlicht der sich ankündigenden Nacht
gelingt es nicht die Spuren darin zu kaschieren, die das Leben diesem hat zugefügt, beigebracht.
Zu viele Facetten des Seins haben dessen wissende Augen bereits gesehen,
um noch narbenlos oder „blauäugig“ durch die Welt zu gehen.
Zu oft hat dessen Nase schon „die Nase voll“ gehabt von den Abgründen der menschlichen Natur,
als dass dessen Mund mich ohne eine Spur
des Alters und der Lebenserfahrung milde anlächeln würde.
Letztlich ist jedes Fältchen, jeder Krähenfuß, jeder Krater, die Erinnerung an eine LebensHürde,
an eine Herausforderung, eine Sternstunde, einen ganz besonderen, kostbaren Moment,
der sich im Augenblick seines erlebt werden unwiderruflich einbrennt
in Herz, Seele, Hirn, Haut und Verstand.
Trotz all dieser sichtbaren Veränderungen habe ich mich in meinem Spiegelbild sofort wiedergefunden, erkannt .
Denn keinem Sieg, keiner Niederlage, keiner Höhe und Tiefe, die mich prägen,
keiner undiplomatischen Trotzreaktion, keinem politisch korrekten Taktieren oder Abwägen,
keiner Enttäuschung, Überraschung, Überforderung, keinem einzigen Augenblick
der Trauer, der Verzweiflung, des größten Schmerz oder Glück‘,
ist es gelungen, mich von mir selbst zu entfernen, entfremden.
Ich streiche sanft mit beiden Händen
zwei Haarsträhnen hinter die Ohren,
die schon so viele fremde, unverfroren
an mich gerichtete Anliegen überhörten,
sich an Klatsch, Tratsch, Gerüchten und Fake news störten
und sich trotzdem nie vor der Wahrheit verschlossen haben bis heute.
Ich ignoriere die irritierten Blicke der vorbeihetzenden Leute,
die sich offensichtlich wundern, nicht verstehen,
mich so in mein Spiegelbild vertieft hier stehen zu sehen.
Noch einmal erinnere Ich mich
an mein früher so perfektes, ebenes, ausdrucksstarkes Gesicht.
Egal, wie ich es drehe und wende, so makellos schön wie damals bin ich leider nicht
mehr, doch das ist völlig okay,
wenn ich das Feuer in meinen noch immer ausdrucksstarken, klugen Augen und die Güte und Milde meiner ergrauten Gesichtszüge sehe.
Denn sie verleihen mir eine Schönheit, die viel tiefer geht
und mitgeschrieben in eben den Spuren des Lebens steht,
die mich zu der machen, die ich heute bin.
Diese faszinierende Attraktivität bekommt keine Schönheit der Jugend hin,
die sich ausschließlich durch oberflächliche Attributen definiert
und gegenüber der Ausdruckskraft eines erfüllten Lebens immer verliert.
Ich lächle mir ein letztes Mal zu, versöhnlich, zufrieden,
beschließe, ich bin viel mehr ich und anders schön geblieben ,
als ich beim ersten kurzen Blick in den Spiegel dachte,

als ich mir so unnötig(e) Gedanken über reine Äußerlichkeiten machte.


Alle auf dieser und den folgenden Seiten verwendeten Texte und Fotografien sind urheberrechtlich geschützt. Solltest Du diese oder Teile hiervon verwenden wollen, wende Dich bitte an die Autorin – anja@gezittert-gereimt.de – ein Text von Anja Allmanritter, Koblenz